Rechtsschutz gegen Nachschauen
Gegen Nachschauen der Finanzverwaltung kann der Betroffene Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Allerdings soll jede Rechtsschutzhandlung des Steuerpflichtigen oder seines steuerlichen Beraters — das kann man nicht oft genug betonen — stets am konkreten Einzelfall ausgerichtet sein.
Steuerrechtliche Nachschauen bringen spezifische Fragen und Konstellationen in Bezug auf den Rechtsschutz des Steuerpflichtigen gegen Prüfungsmaßnahmen mit sich. Die bedenkliche Tendenz des Gesetzgebers — Vorschriften, die dem Rechtsschutz des Steuerpflichtigen dienen, wie die
die Anordnung der Prüfung angemessene Zeit vor deren Beginn (§ 197 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung, AO),
die Nennung der Prüfer und des Ortes der Prüfung angemessene Zeit vor dem Prüfungsbeginn (§ 197 Abs. 1 Satz 1 AO),
die Verpflichtung der Prüfer, auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ermitteln (§ 199 Abs. 1 AO) und den Steuerpflichtigen im Laufe der Prüfung über die festgestellten Sachverhalte und steuerliche Auswirkungen dieser Sachverhalte zu unterrichten (§ 199 Abs. 2 AO),
die obligatorische Schlussbesprechung (§ 201 Abs. 1 AO),
der obligatorische Prüfungsbericht (§ 202 Abs. 1 AO),
die Möglichkeit einer verbindlichen Zusage (§ 204 AO),
eine Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO),
etc.
auf die Nachschauen nicht anzuwenden, führt dazu, dass der Rechtsschutz bei einer Nachschau im Vergleich zu Rechtsschutzmöglichkeiten während einer Außenprüfung reduziert wird. Um so mehr sollen Adressaten einer Nachschau sorgsam darauf achten, dass ihre Rechte gewahrt bleiben.
I. Das Erscheinen der Prüfer
Das erklärte Ziel aller Nachschauen — das Aufdecken von Gesetzesverstößen bei dem unvorbereiteten Steuerpflichtigen — führt dazu, dass eine Nachschau nicht angekündigt wird. Der Adressat einer Nachschau erfährt von dieser regelmäßig erst, wenn der Prüfer zur Nachschau erscheint.
Der Prüfer hat sich auszuweisen, sobald er
Räumlichkeiten oder Grundstücke betreten will, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind,
vom Adressaten der Nachschau Auskünfte verlangt,
vom Adressaten der Nachschau die Vorlage von Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden verlangt,
den Adressaten der Nachschau auffordert, ihm den Zugriff auf die EDV zu gewähren,
etc.
Sollte sich der Prüfer nicht ausweisen können — etwa, weil er seinen Dienstausweis nicht dabei hat — dürfte es gegenüber dem Adressaten der Nachschau zumindest dann an einem mit der Nachschau „betrauten Amtsträger der Finanzbehörde“ (§ 27b Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG), § 146b Abs. 1 Satz 1 AO), an einem „mit der Nachschau Beauftragten“ (§ 42g Abs. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz, EStG), oder an einem „von der Finanzbehörde mit der Steueraufsicht betrauten Amtsträger“ (§ 210 Abs. 1 AO) fehlen, wenn der Prüfer nicht anderweitig nachweisen kann, dass er von der Finanzverwaltung beauftragt worden ist, bei dem Adressaten eine Nachschau durchzuführen. Gelingt der bezeichnete Nachweis nicht, muss die Nachschau nicht geduldet werden.
II. Räumlicher Gegenstand von Nachschauen
Einer Nachschau unterliegen nur Grundstücke oder Räumlichkeiten.
Der Adressat einer Nachschau soll deshalb streng darauf achten, dass die Nachschau nicht auf andere Gegenstände, etwa auf Kraftfahrzeuge des Unternehmers, ausgedehnt wird. Die Ansicht der Finanzverwaltung, die Einbeziehung Kraftfahrzeugen in die Kassen-Nachschau sei zulässig, wenn das Kraftfahrzeug vom Adressaten der Nachschau für geschäftliche oder selbständige berufliche Zwecke genutzt werde (so das BMF-Schreiben vom 29.05.2018, IV A 4 — S 0316/13/10005: 054, BStBl 2018 I S. 699), überschreitet den Wortlaut der maßgeblichen Norm (§ 146b Abs. 1 Satz 1 AO) — ein Kraftfahrzeug ist weder ein Grundstück noch eine Räumlichkeit — und ist deshalb abzulehnen.
Ferner dürfen nur solche Grundstücke oder Räumlichkeiten in eine Nachschau einbezogen werden, die vom Adressaten der Nachschau zu geschäftlichen oder selbständigen beruflichen Zwecken genutzt werden. Grundstücke oder Räumlichkeiten, die privaten Zwecken dienen, dürfen im Rahmen einer Nachschau gegen den Willen des Hausrechtsinhabers vom Prüfer nur dann betreten werden, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt, oder bei einer Zölle- und Verbrauchsteuern-Nachschau nach § 210 AO der Verdacht des Schmuggels oder des rechtswidrigen Besitzes von unversteuerten verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Raum steht.
Eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dürfte nur in Ausnahmefällen vorliegen — etwa dann, wenn ohne das Betreten der betreffenden Wohnräume Beweise für gewichtige Verstöße des Adressaten der Nachschau gegen Normen des Steuerrechts oder des Steuerstrafrechts unwiederbringlich verloren würden.
Bei einer Lohnsteuer-Nachschau ist das Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Berechtigten auch bei einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht zulässig.
III. Das Fotografieren während einer Nachschau
Während einer Nachschau pflegen manche Prüfer, Räumlichkeiten des Adressanten der Nachschau oder sogar den Adressaten selbst, angeblich zu Beweiszwecken zu fotografieren.
Das Fotografieren des Adressaten der Nachschau verstößt gegen das Persönlichkeitsrecht des Adressaten (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und ist deshalb rechtswidrig.
Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob das Fotografieren von Räumlichkeiten bzw. von Gegenständen in den Räumlichkeiten während einer Nachschau oder auch während einer Betriebsprüfung zulässig ist. In der Kommentierung hin und wieder gezogene Parallelen zwischen dem Recht auf das Betreten und dem angeblich korrespondieren Recht auf das Fotografieren sind meines Erachtens problematisch.
Erstens ist nicht ersichtlich, weshalb das Recht auf Betreten von Räumlichkeiten das Recht auf das Fotografieren dieser Räumlichkeiten oder von Gegenständen in diesen Räumlichkeiten nach sich ziehen soll. Das Fotografieren würde die Befugnisse des Prüfers beträchtlich erweitern: anstatt einer persönlichen und flüchtigen Wahrnehmung bekäme der Prüfer ein dauerhaftes Abbild von Räumlichkeiten bzw. Gegenständen — auch von solchen, die nicht unmittelbar für die Zwecke der Nachschau relevant sind.
Zweitens geben die maßgeblichen Rechtsgrundlagen dem Prüfer während einer Nachschau lediglich die Befugnis zur Ansicht in Schriftstücke oder in die EDV des Adressaten der Nachschau, nicht in weitere Sachen. Dies spricht dafür, dass zumindest das Fotografieren von weiteren Gegenständen durch den Prüfer rechtswidrig sein dürfte.
IV. Prüfungshandlungen während einer Nachschau
Handlungen von Prüfern während einer Nachschau können unterschiedliche Rechtsqualität haben. Im Regelfall wird es sich um Maßnahmen handeln, die der Ermittlung des Sachverhalts für Zwecke der Betriebsprüfung und Steuerfestsetzung dienen und vom Steuerpflichtigen nicht selbständig angefochten werden können.
Fordert der Betriebsprüfer den zu prüfenden Steuerpflichtigen allerdings dazu auf,
bestimmte Belege, Verträge, Konten und andere Unterlagen vorzulegen,
Zutritt zu nicht öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten zu gewähren, oder
bestimmte Prüfungsmaßnahmen zu dulden,
kann es sich um einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt handeln.
Ebenfalls um selbständig anfechtbare Verwaltungsakte handelt es sich bei der Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln. Unter Zwangsmittel versteht § 328 AO Zwangsgeld, Ersatzvornahme und unmittelbaren Zwang.
Nicht zu Zwangsmaßnahmen im Rechtssinn gehört das Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO, das festgesetzt werden kann, wenn der Steuerpflichtige einer Aufforderung der Finanzbehörde zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Unterlagen nicht fristgerecht nachkommt.
Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte kann der Steuerpflichtige Einspruch erheben (§§ 347 ff. AO). Die Erhebung des Einspruchs allein hindert allerdings die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht. Hierzu bedarf es noch eines Antrages auf die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 361 Abs. 2 AO. Bevor über die Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht entschieden worden ist, darf die Finanzverwaltung den betreffenden Verwaltungsakt gem. § 251 Abs. 1 Satz 1 AO nicht vollstrecken.
Wird die Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 361 Abs. 2 AO von der Finanzverwaltung nicht gewährt, oder droht die Vollstreckung des Verwaltungsaktes durch die Finanzverwaltung, kann der Steuerpflichtige noch vor der Erhebung einer Klage gem. § 69 Abs. 3 FGO bei dem Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes beantragen.
Wird der Einspruch vom Finanzamt abgewiesen, kann der Steuerpflichtige den Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung mittels einer Klage zum Finanzgericht angreifen (§ 40 Finanzgerichtordnung, FGO).
Sofern eine Prüfungsmaßnahme nicht als Verwaltungsakt anzusehen ist, bedeutet das nicht, dass der Steuerpflichtige gegen diese keine Rechtsschutzmöglichkeiten hat. Sofern die betreffende Maßnahme selbständig anfechtbar ist, kann eine Leistungsklage auf Abwehr oder Vornahme der betreffenden Maßnahme oder der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO in Betracht kommen.
V. Besonderheiten des steuerlichen Verfahrensrechts bei Nachschauen
Der Adressat einer Nachschau, bzw. sein steuerlicher Berater, soll die verfahrensrechtliche Lage, in der sich der Adressat der Nachschau gerade befindet, stets im Auge behalten.
Vor allem folgende verfahrensrechtliche Besonderheit einer Nachschau darf nicht übersehen werden:
Solange eine Nachschau nicht beendet ist, können gegen die im Rahmen der Nachschau erlassenen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakte Einsprüche erhoben und ggf. auch gerichtlicher Rechtsschutz gesucht werden. Mit der Beendigung der Nachschau sind (neue) Einsprüche gegen die erlassenen Verwaltungsakte nicht mehr zulässig. Die bereits erhobenen Einsprüche und Anfechtungsklagen werden mit der Beendigung der Nachschau unzulässig. Die statthafte Klageart nach der Beendigung einer Nachschau wird regelmäßig eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sein. Im Falle schlichten Verwaltungshandelns ist dagegen Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO die zulässige Klageart.
VI. Rechtliches Gehör für den Adressaten der Nachschau
Führt einer Nachschau dazu, dass Besteuerungsgrundlagen geändert werden, wird die Finanzverwaltung dem Adressaten der Nachschau gem. § 91 AO regelmäßig rechtliches Gehör gewähren.
Die Verpflichtung der Finanzverwaltung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nach § 91 AO ist verfassungs- und unionsrechtlich verankert: sie wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und aus Art. 41 Abs. 2 1. Spiegelstrich der Charta der Grundrechte der EU abgeleitet.
Eine Anhörung nach § 91 AO kann der Adressat einer Nachschau nicht individualrechtlich durchsetzen. Allerdings wird das Absehen von der Anhörung während eines nachfolgenden Einspruchs- und des Gerichtsverfahrens zu berücksichtigen sein, sofern die Finanzverwaltung von der Anhörung rechtswidrig abgesehen hat.
Der Adressat einer Nachschau soll das Unterlassen der Anhörung nach § 91 AO gegenüber der Finanzverwaltung, noch vor Erlass der geänderten Steuerbescheide und im späteren Einspruchs- und Gerichtsverfahren rügen, sofern er davon ausgeht, dass das Unterlassen der Anhörung rechtswidrig ist.
Beachten Sie bitte unbedingt unseren Rechtshinweis!