Schätzung von Besteuerungsgrundlagen
Das Gesetz verpflichtet gem. § 162 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) die Finanzverwaltung, Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, sofern diese nicht ermittelt oder berechnet werden können. Unter den „Besteuerungsgrundlagen“ sind jegliche Sachverhalte zu verstehen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind. Die Abgabenordnung (§ 199 Abs. 1 AO) spricht in diesem Zusammenhang von „tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind“.
Hervorzuheben ist insbesondere, dass auch geschätzt werden muss, wenn den Steuerpflichtigen keinerlei Schuld daran trifft, dass Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können. So hat gem. § 162 Abs 1 AO eine Schätzung auch dann zu erfolgen, wenn Unterlagen des Steuerpflichtigen durch höhere Gewalt (Überschwemmung, Feuer etc.) vernichtet worden sind.
Besondere Voraussetzungen in Bezug auf die Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung gelten u. a. für Einkünfte aus dem Ausland, insbesondere für Einkünfte aus Kapitalvermögen, und für die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen im Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitsverfahren.
I. Fälle von Schätzung
Nach § 162 Abs. 2 AO muss die Finanzbehörde insbesondere in folgenden Fällen Besteuerungsrundlagen schätzen:
der Steuerpflichtige kann seine Angaben nicht hinreichend erklären,
der Steuerpflichtige verweigert Auskunft oder seine Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung,
der Steuerpflichtige kann Bücher oder Aufzeichnungen, die er führen muss, nicht vorlegen,
Buchführung oder Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen sind mangelhaft und können der Besteuerung deshalb nicht zugrunde gelegt werden,
es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass Einnahmen oder Betriebsvermögensmeh-rungen des Steuerpflichtigen unrichtig oder unvollständig sind und der Steuerpflichtige einem automatisierten Abruf von Kontoinformationen bei seinem Kreditinstitut nicht zustimmt.
II. Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nach § 158 AO
Der Dreh- und Angelpunkt für die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde stellt die Buchführung des Steuerpflichtigen dar, die im Normalfall eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nicht erlaubt. Nach § 158 AO sind nämlich die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie ordnungsgemäß sind und kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Die Buchführung ist gem. § 158 AO ordnungsgemäß, wenn sie konform mit den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO erstellt wurde.
Zu einer Schätzung kann der Betriebsprüfer deshalb erst kommen, wenn er nachweist, dass die Buchführung des Steuerpflichtigen an Mängeln leidet, die schwer genug sind, um die gesetzliche Vermutung des § 158 AO zu erschüttern.
An den Beweis der Unrichtigkeit der Buchführung sind verschiedene Anforderungen zu stellen, je nachdem, ob die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen formell ordnungsgemäß sind, oder ob diese an formellen Fehlern leiden.
Bei der formell ordnungsgemäßen Buchführung und den Aufzeichnungen muss die Finanzbehörde nachweisen, dass die Buchführung oder die Aufzeichnungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit inhaltlich unrichtig sind. Weist die Buchführung wesentliche formelle Mängel auf, sinken die Anforderungen an den Nachweis der inhaltlichen Unrichtigkeit der Buchführung.
Die Schätzung ist nach § 158 AO nur in dem Umfang zulässig, wie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt werden konnten. Eine sog. Vollschätzung kann deshalb nur dann erfolgen, wenn die gesamte Buchführung des Steuerpflichtigen an so gravierenden Mängeln leidet, dass sie in Gänze als nicht ordnungsgemäß angesehen werden muss. Die Vollschätzung kann nach Richtsätzen der Finanzverwaltung erfolgen, die für die Branche existieren, zu der das zu prüfende Unternehmen gehört. Dabei kann sich die Finanzverwaltung an der oberen Richtsatz-Grenze orientieren, wenn der Steuerpflichtige die Schätzung pflichtwidrig zu verantworten hat.
Weist die Finanzverwaltung nach, dass der Steuerpflichtige Betriebseinnahmen nicht erfasst hat, kann auch ein Sicherheitszuschlag hinzugeschätzt werden.
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