Umsatzsteuer-Sonderprüfung
Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist eine Betriebsprüfung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer. Sie gehört zu Fachprüfungen der Finanzverwaltung, zu welchen auch die Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42f Einkommensteuergesetz, EStG) und weitere Sonderbetriebsprüfungen zu zählen sind.
Die Notwendigkeit der Umsatzsteuer-Sonderprüfung leitet die Finanzverwaltung aus dem gesetzlichen System der Umsatzsteuer, nach dem die Anrechnung bzw. Erstattung von Vorsteuer im Rahmen der Umsatzsteuer-Voranmeldung erfolgt und eine Prüfung zweifelhafter Fälle deshalb zeitnah erfolgen müsse.
I. Zulässigkeit von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen
Die Zulässigkeit einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1, 194 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO), danach kann eine Außenprüfung eine oder mehrere Steuerarten umfassen. Mangels gesetzlicher Sonderregelungen zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung finden auf diese die Bestimmungen zur allgemeinen Betriebsprüfung nach §§ 193 ff. AO Anwendung.
Die Finanzverwaltung schreibt ausdrücklich vor, dass Bestimmungen der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) zur allgemeinen Außenprüfung auch auf Umsatzsteuer-Sonderprüfungen an-zuwenden sind (§ 1 Abs. 2 BpO 2000). Hiervon macht § 1 Abs. 2 BpO 2000 allerdings eine wichtige Ausnahme: nach § 197 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Prüfungsanordnung, der voraussichtliche Beginn der Betriebsprüfung und die Namen der Betriebsprüfer dem Steuerpflichtigen, bei dem die Außenprüfung durchgeführt werden soll, angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt zu geben. Nach § 5 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000 beträgt die „angemessene Frist“ des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO bei Großbetrieben 4 Wochen und in anderen Fällen 2 Wochen.
Diese Bestimmung des § 5 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000 ist auf Umsatzsteuer-Sonderprüfungen gem. § 1 Abs. 2 BpO 2000 nicht anzuwenden, d. h. die Prüfungsanordnung, die Mitteilung über den Prüfungsbeginn und die Namen der Prüfer können dem zu prüfenden Steuerpflichtigen unmittelbar vor dem Prüfungsbeginn, oder sogar zeitgleich mit dem Erscheinen der Prüfer, übermittelt werden. Ein solches Vorgehen ist vom § 197 Abs. 1 Satz 1 AO erlaubt: danach kann die Finanzverwaltung davon absehen, den Steuerpflichtigen angemessene Zeit vor dem Prüfungsbeginn zu informieren, wenn durch diese Information der Prüfungszweck gefährdet wird. Da Umsatzsteuer-Sonderprüfung dazu dient, verdächtige bzw. zweifelhafte Fälle von Umsatzsteuer-Voranmeldungen zeitnah aufzudecken, wäre die Effektivität von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durch vorherige Information des Steuerpflichtigen ggf. in Frage gestellt.
II. Auswahl von zu prüfenden Steuerpflichtigen
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat mit dem Schreiben vom 07.11.2002 (IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, BStBl 2002 I, 1366) Kriterien festgelegt, die bei einem Steuerpflichtigen zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung führen können.
Danach geben automatisierte Verfahren, die die Finanzverwaltung bei der Umsatzsteuer-Voranmeldung und Berechnung der Jahresumsatzsteuer einsetzt, bei zweifelhaften Sachverhalten Hinweise aus, die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen anregen. Hinzu kommen Kontrollmitteilungen von anderen Betriebsprüfungen und nicht zuletzt vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) aus dem innergemeinschaftlichen Kontrollverfahren. Kann der Innendienst des Finanzamts bestehende Zweifel aus der Auswertung von bezeichneten Hinweisen und Kontrollmitteilungen nicht aufklären, ist — so das BMF — „unverzüglich eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durchzuführen“.
Insbesondere folgende Kriterien können nach dem BMF zu einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung führen:
außergewöhnlich hohe Vorsteuerbeträge,
Vorsteuerdifferenzen,
atypische und/oder ungeklärte vorsteuerbelastete Leistungsbezüge,
Verwendungsabsicht bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern bei dem Leistungsbezug,
mangelhafte vorsteuerbelastete Eingangsrechnungen,
Vorsteuerabzug aus dem Erwerb von Neufahrzeugen,
Vorsteuerberichtigung bei Grundstücksveräußerungen und Entnahmen,
erstmalige Anwendung oder Änderung des Verwendungsschlüssels bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern, insbesondere Grundstücken,
hohe Vorsteuerüberschüsse bei Neugründungen,
Verträge des Unternehmers mit nahestehenden Personen,
Vermietung von Gegenständen zur Freizeitbetätigung,
Geltendmachung von Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 1 bis 8 UStG,
Differenzen bei innergemeinschaftlichen Erwerben,
Erbringen von Leistungen mit dem besonderen Leistungsort, u. a. nach §§ 3b, 3e UStG,
E‑Commerce-Dienstleistungen,
erhebliche Umsatzabweichungen zwischen Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuer-Jahreserklärungen,
Umsatzsteuer in Insolvenzfällen,
Fälle der Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG,
Besteuerung von Vereinen und Betrieben gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
III. Durchführung von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen
Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung erfordert eine Prüfungsanordnung, die den Vorgaben der §§ 196, 197 AO zu entsprechen hat. Eine Bekanntgabe der Prüfungsanordnung eine angemessene Zeit vor dem Prüfungsbeginn ist allerdings nach § 197 Abs. 1 Satz 1 AO, § 1 Abs. 2 BpO 2000, § 5 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000 nicht erforderlich, da durch eine solche Bekanntgabe der Prüfungszweck der Umsatzsteuer-Sonderprüfung gefährdet wäre.
Bei der Prüfungsanordnung ist zu unterscheiden, ob sich die Umsatzsteuer-Sonderprüfung auf einige Voranmeldungszeiträume eines Kalenderjahres oder auf das Kalenderjahr als Besteuerungszeitraum erstreckt. Bei der Prüfung von Voranmeldungszeiträumen ist eine Einschränkung des Prüfungsumfang in der Prüfungsanordnung nicht erforderlich. Anders ist es bei der Erstreckung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung auf das Kalenderjahr als Besteuerungszeitraum: ist die Prüfungsanordnung hier auf bestimmte Sachverhalte beschränkt, muss der Vorbehalt der Nachprüfung in Bezug auf die Umsatzsteuer im Prüfungsjahr gem. § 164 Abs. 3 Satz 2 AO nicht aufgehoben werden. In diesem Fall kann eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach Auswertung der Prüfungsergebnisse weiterhin ohne weitere Voraussetzungen gem. § 164 Abs. 2 AO erfolgen (BMF-Schreiben vom 07.11.2002, IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, Ziff. III Abs. 3 Satz 2).
Bei einer Prüfungsanordnung, die sich auf das Kalenderjahr als Besteuerungszeitraum erstreckt und nicht auf bestimmte Sachverhalte beschränkt ist, erfolgt gem. § 164 Abs. 3 Satz 2 AO die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung. Eine weitere Änderung der Steuerfestsetzung ist deshalb nur nach einer anderen Korrekturvorschrift als § 164 Abs. 2 Satz 1 AO unter erschwerten Voraussetzungen möglich (BMF-Schreiben vom 07.11.2002, IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, Ziff. III Abs. 3 Satz 3).
Die Prüfung ist konform mit den Prüfungsgrundsätzen des § 199 AO durchzuführen, insbesondere müssen tatsächliche und rechtliche Verhältnisse sowohl zulasten als auch zugunsten des Steuerpflichtigen geprüft werden.
Der Steuerpflichtige hat gem. § 200 Abs. 1 AO eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung zu dulden und ist zur Mitwirkung verpflichtet. Insbesondere hat er auf Verlangen des Prüfers Auskünfte zu erteilen und prüfungserhebliche Unterlagen vorzulegen. Dem Prüfer ist nach § 200 Abs. 2 Satz 2 AO ein geeigneter Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
Nach dem BMF ist eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung „auf das Wesentliche abzustellen und ihre Dauer auf das notwendige Maß zu beschränken“ (BMF-Schreiben vom 07.11.2002, IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, Ziff. III Abs. 1 Satz 3). Den Prüfungsschwerpunkt sollen dabei Sachverhalte darstellen, die zu Mehrsteuern führen können. Allerdings sind nach dem BMF auch Umsatzsteuer-Sonderprüfungen zulässig, bei denen ein Mehrergebnis nicht zu erwarten ist (BMF-Schreiben vom 07.11.2002, IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, Ziff. III Abs. 1 Satz 5).
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten arbeiten die EU-Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Umsatzsteuer eng zusammen (siehe hierzu u. a. die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7.10.2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, Zusammenarbeits-VO).
Es ist hervorzuheben, dass in einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung der Prüfer regelmäßig nicht lediglich Buchführung und Belege durchsehen, sondern überprüfen wird, ob die deklarierten Leistungen auch tatsächlich durchgeführt wurden. Insbesondere ist der Prüfer gehalten, in Investitionsfällen das erworbene Anlage- und Umlaufvermögen in Augenschein zu nehmen (BMF-Schreiben vom 07.11.2002, IV B 2 ‑S 7420 a — 4/02, Ziff. III Abs. 4).
Ergeben sich im Laufe der Umsatzsteuer-Sonderprüfung Differenzen, die sich nicht aufklären lassen und zur Mehrsteuer führen, kann und muss die Mehr-Umsatzsteuer gem. § 162 Abs. 1 AO geschätzt werden.
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